Sonntag, 27. November 2011

Hau den Lukas …auf Russisch!

Gestern hatte ich in einer Bar/Club die Möglichkeit mein Wissen über russische Trinkgewohnheiten zu erweitern. Dass es die verschiedensten und absurdesten Möglichkeiten und Trends gibt sich möglichst schnell ins Alkohol-Koma zu saufen, hatte ich ja schon in Deutschland gehört. Und Flatrate-Sauf-Parties waren da im Vergleich zu Geschichten über Jugendliche, die sich mit Alkohol getränkte Baumwollelemente in diverse Körperöffnungen einführten noch harmlos.

Was macht mal aber in Russland um schneller besoffen zu werden? – Es gibt eine Kopfnuss! Offiziell durchgeführt sieht das dann folgendermaßen aus: man bestellt das Getränk mit Wirkungsbeschleuniger (ob es einen Unterschied im Preis macht weiß ich nicht, da ich es NICHT ausprobiert habe, sondern nur bei anderen gesehen habe), woraufhin eine Glocke über der Bar geläutet wird - ich hatte schon Angst es gäbe Feueralarm. Ein Alarm ist auch angebracht, denn dem Trinkwütigen wird daraufhin ein Helm aufgesetzt, der an Wehrmachtsfilme erinnert und vermutlich auch aus der persönlichen Sammlung irgendeines Kriegsfanatikers erstanden wurde. Das bestellt Getränk muss dann in einem Zug – vollkommen unabhängig von der Größe – geleert werden, wobei während der ganze Zeit ein Baseballschläger-Schwingender Kellner daneben steht, mit dem er dann, sobald letzte Tropfen Alkohol das Glas verlassen hat, dem Kunden auf den Kopf, also auf den Helm haut.

Abgesehen davon, dass Druck-Saufen sowieso schwachsinnig ist (es sei denn, natürlich, man hat einen triftigen Grund dafür, wie z.B. das Bekämpfen einer Grippe!) und mich der Krach genervt hat – die laute Glocke, der Schlag auf den Helm und auch die Gläser wurden bei dieser Zeremonie besonders hart auf den Tisch geknallt –,war ich einfach nur angewidert von diesem Zur-Schau-Stellen der Gewalt. Die ständige Präsenz von brutaler Polizei und prügelnden Neo-Nazis hat offensichtlich auch ihren Niederschlag in der Saufkultur gefunden. Na dann: Prost!

(Die Quelle für das Bild: http://photos1.fotosearch.com/bthumb/IMP/IMP141/Metal_soldiers_helmet.jpg)

Donnerstag, 17. November 2011

Galgenhumor

Da die Beiträge hier auf dem blog bisher alle auf irgendeine Weise ernst waren, hier nun eine kleine lustige Anekdote aus dem Institut. Obwohl sie in gewisser Weise auch den politischen Umständen geschuldet ist und damit einen bittersüßen Beigeschmack hat.

Diese Woche kam ich in den Genuss, an einer Mitarbeiterversammlung teilnehmen zu dürfen. Niemand hatte uns vorher Bescheid gesagt und so kamen wir (die andere Praktikantin und ich) vollkommen unwissend und natürlich viel zu spät, noch mit der Teetasse vom Essen in der Hand, direkt aus der Kantine in den Versammlungsraum gestolpert, wo schon alle saßen und uns mit nahezu tosendem Beifall empfingen. Zum Glück mussten wir uns nicht weiter vorstellen, es wurde kurz erwähnt wer wir seien und was wir machen, d.h. aus welcher Abteilung wir kommen und damit wars auch schon getan.

Die restlichen Themen, die angesprochen wurden, betrafen mich – bis auf die Weihnachtsfeier, die ich vermutlich versuchen werde zu umgehen – nicht wirklich und so bekamen wir zwar einen kleinen Einblick in den Aufbau und die unterschiedlichen Belange des großen Instituts, saßen aber eigentlich eher die Zeit ab. Lustig wurde es allerdings, als es um das anstehende „Deutschlandjahr in Russland“ ging. Ein kulturelles Großprojekt, das sich in Form von verschiedenen Veranstaltungen ab kommenden Sommer ein Jahr lang durch die Kulturkalender der verschiedensten Städte Russlands ziehen wird.

Wie es sich für eine solche, großangelegte Veranstaltung gehört, muss sie natürlich auch in einem entsprechenden Rahmen eröffnet werden. Dazu gehört natürlich der Leiter, der organisierenden Einrichtung und für den Hochglanzanstrich sorgt dann im besten Fall die Anwesenheit einer Persönlichkeit aus höheren, politischen Kreisen. Im Idealfall vielleicht sogar DER führenden Persönlichkeit, um nicht zu sagen: des Präsidenten!

Nun gibt es aber das Problem, dass im nächsten Jahr in Russland Präsidentschaftswahlen anstehen. Auf die Frage hin, wann denn die große Eröffnung des noch viel größeren Deutschlandjahres sein solle und in welchem Rahmen sie stattfinden werde, erwiderte der Institutsleiter, dass man das rein organisatorisch noch nicht genau absehen könne.

Erstens wäre bis dahin ja noch genug Zeit. Uns zweitens, würde zur Eröffnung ja auch das Staatsoberhaupt eingeladen werden. Dieses würde ja aber im kommenden Jahr neu gewählt werden… Man könne ja also noch nicht genau wissen … - und in diesem Moment stockte er im Reden und der gesamte Saal fing an zu lachen. ‚Nun gut, also „theoretisch“ können wir ja noch nicht wissen, wer im kommenden Jahr zum Präsidenten gewählt wird, deswegen können auch noch keine offizielle Einladung, etc. … geschrieben werden. Was wir alle selbst dazu denken ist natürlich eine andere Sache…’ Das Lachen im Raum unter allen Versammelten hielt noch ein paar Minuten an, bevor sich alle gesammelt hatten und der ernste Teil der Besprechung weitergehen konnte.

Eigentlich ist es traurig, wenn man so, wie in diesem Fall, schon ein halbes Jahr vorher weiß, wer die kommenden Präsidentschaftswahlen gewinnen wird. Aber es hatte irgendwie auch schon wieder etwas tröstliches, dass Russen und Deutsche zusammen über diese politische Farce lachen konnten. Wir verstehen uns.

Gott sieht alles!


Um zu belegen, dass wirklich in den meisten Wohnungen in Russland Ikonen stehen, hier ein Bild von dem Heiligen, der in meinem Zimmer, auf dem Schrank stehend, über mich wacht. (Ich hoffe nur es ist keine Blasphemie oder ein sonstiges Vergehen, dass ich ein Photo mit Blitz von ihr gemacht habe…)

Dienstag, 15. November 2011

so viel zum Thema "überraschend kritisch..."

Nachdem ich am Dienstag letzter Woche bei der bereits beschrieben Diskussion im Sacharow-Zentrum war, fing ich an, mich ein wenig für dieses Kulturzentrum zu interessieren. Und prompt stieß ich in dem Buch, das ich gerade lese und in welchem eine Korrespondentin der Moskauer Deutschen Zeitung anekdotenartig ihr erstes Jahr in Moskau beschreibt [danke Caro! ;)], auf besagte Kultureinrichtung. Hier musste ich erfahren, dass es durch einen Vorfall randalierender Ultraorthodoxer Christen zu trauriger Berühmtheit gelangte...

Im Jahr 2003 wurde hier eine Kunstausstellung mit dem Titel „Achtung, Religion!“ veranstaltet, die allein schon durch den Titel provozierte. Da man in Russland sehr oft in den Wohnungen Ikonen in den Zimmerecken sieht und nicht erst am vorletzten Wochenende in Wladimir und Susdal’ von orthodoxen Kirchen und Klöstern nahezu erschlagen wurde, -von den riesigen prunkvollen goldglänzenden Gebäuden hier in Moskau mal ganz abgesehen…- kann man sich vorstellen, dass das religiöse Empfinden (sei die Religion auch noch so halbherzig ausgelebt) doch noch um einiges empfindsamer ist, als vielleicht in Deutschland.

Die Exponate der Ausstellung behandelten wohl auf sehr provokante Weise das Thema Religion als kapitalistische Karikaturen, wie z.B. Mickey Maus als Jesus oder dem Coca-Cola-Schriftzug mit der Unterschrift „dies ist mein Blut“. Ich habe hier zu ein paar Bilder im Internet gefunden und hoffe dass ich keine Eigentumsrechte verletzte. Andererseits ist das blog ja nur eine private Angelegenheit, es sollte mir also keiner etwas anhaben können … hoffe ich!!

Die Ausstellung wurde jedenfalls ein paar Tage nach ihrer Eröffnung von russisch-orthodoxen Fundamentalisten gestürmt und die Bilder beschädigt bzw zerstört. Als wenn das nicht schlimm genug wäre, wurde nicht etwa die Eindringlinge strafrechtlich verfolgt, sondern die Veranstalter der Ausstellung, sprich: das Sacharow-Zentrum! Und zwar wegen "Schürens von nationalem und religiösen Zwists"... Einer der Anwälte des Zentrums war wohl eben jener besagte Aleksandre Podrjabinek, der auch bei der Diskussion letzten Dienstag auf der Bühne saß. Das Sacharow-Zentrum verlor den Prozess (natürlich) und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Noch perfider als dieser Umstand ist jedoch der Fakt (wenn man Wikipedia glauben schenken darf) dass ein Duma-Abgeordneter, der gegen die Erhebung eines Strafverfahrens stimmte (insgesamt waren es nur 2!) und sich öffentlich dazu äußerte, wenige Zeit später in Moskau ermordet wurde…

Wessen Interesse nach dieser Geschichte geweckt ist, kann hier zwei Artikel über das Sacharow Zentrum nachlesen – sie sind auf Deutsch!

Der russische Sisyphus (DIE ZEIT)

Achtung, Religion!

Es sieht also so aus, als ob diese Kultureinrichtung seine Existenz immer sehr kapp am Rande eines Abgrundes fristen würde. Ein Grund mehr für mich dem Zentrum demnächst nochmal einen Besuch abzustatten!!

Sonntag, 13. November 2011

Russland für alle!

Wie bereits angekündigt war ich heute mit einer Freundin in der Ausstellung „Russland für alle“. Der provokativ gemeinte Titel trifft offensichtlich genau ins Schwarze, denn als ich meiner Vermieterin davon erzählte, dass ich eine Ausstellung mit diesem Namen besuchen wolle, erwiderte sie nur mit hochgezogenen Augenbrauen: „Ach, das meint dann wohl die ganzen Immigranten.“ BINGO! Genau darum geht es offensichtlich auch den Veranstaltern, die laut eigener Aussage mit ihrem Projekt all diejenigen zum Nachdenken anregen wollen, die laut rufen: „Russland den Russen!“, dabei aber nicht bedenken, wie viele bedeutende Personen es in der Geschichte und kulturellen Entwicklung Russlands gab, die in ihrem Stammbaum durchaus andere ethische Einflüsse hatten. Das Paradebeispiel ist natürlich Katharina die Große, eigentlich Sophie Auguste von Anhalt-Zerbst – eine Deutsche also - oder Puschkin, dessen Urgroßvater ein afrikanischer Sklave gewesen sein soll.

Um dies zu verdeutlichen wurde eine ganze Wand mit mehreren kleineren Leinwänden gefüllt, auf denen die Namen bekannter Persönlichkeiten und deren „nichtrussische“ Abstammung gemalt wurde. Abgesehen von diesen Einzelbeispielen wurden noch ein paar statistische Fakten über die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Russlands eingestreut. Abgesehen davon, dass mich die Gesamtbevölkerungszahl Russlands von 145.166.731 Menschen beeindruckte, finde ich dass sich die deutsche Diaspora mit 597.212 Personen gar nicht so gering ausnimmt. Obwohl sie natürlich mit dem Spitzenreitern wie Tataren (5.554.601) oder Baschkiren (1.673.389) nicht mithalten kann ;)


Wenn man bedenkt, dass gerade die Tataren lange Zeit die Geschichte der slawischen Völker beeinflusst haben. Und noch dazu, faktisch nur auf dem westlichen Teil des heutigen Territoriums Russlands überhaupt slawische Völker lebten, während der Rest mit vielen kleinen Nomadenvölkern besiedelt war, welche im Laufe vieler Jahre im Zuge der Ausbreitung des Moskauer Reiches der russischen Herrschaft unterworfen wurden, müssen sich solche Äußerungen wie „Russland den Russen“ vermessen und anmaßend ausnehmen.

Auch in Anbetracht der Tatsache, dass zu Zeiten der Sowjetunion das Hauptaugenmerk des Zusammenschlusses nicht auf der Nationalität lag, sondern auf dem politischen System und einem überdies die hoch gepriesene Völkerfreundschaft von allen Ecken entgegen wehte, sollte man meinen, dass eine Durchmischung verschiedener Ethnien und Nationalitäten zum Alltag gehört und faktisch gar nicht mehr wahrgenommen wird. Ich konnte mir deshalb auch die ganz du gar unschuldige Frage an meine Vermieterin nicht verkneifen, wen sie denn mit diesen „Immigranten“ meine. Natürlich zählte sie die von mir erwarteten Bevölkerungsgruppen auf: Leute aus dem Kaukasus (Armenier, Aserbaidschaner, Tschetschenen, Dagestaner, etc. …) und Menschen aus den zentralasiatischen Regionen: Usbeken, Turkmenen, etc. … Tja, wo die nur alle herkommen? Is’ ja nicht so, dass sie einst von einer aus Moskau kommenden Regierung unter den kommunistischen Deckel gezwängt wurden … Und was wollten sie nun alle hier in Russland mit ihren Einkaufsläden und Schuhreparaturständen? Ich vermute mal: Geld verdienen. Nein, das würden sie ja auch nicht richtig machen.

Zugegeben, die Anekdote, die mir meine Vermieterin daraufhin erzählte, brachte mich auch zum Schmunzeln: Sie wollte wohl ein Paar Stiefel zur Reparatur geben, die jeweils mit doppelten Reißverschlüssen versehen waren, wovon einer aber nicht mehr funktionierte. Die anscheinend aus der mittelasiatischen Region stammende Frau in der Schuhannahme empfahl ihr wohl daraufhin, sie solle doch einfach nur den zweiten Reißverschluss benutzen und den kaputten geschlossen lassen. Das ginge doch auch. In gewisser Weise nahezu hilfsbereit, immerhin hätte sich damit meine Vermieterin das Geld für die Reparatur gespart. Aber die war wohl nicht sonderlich für diese Logik zu begeistern und heilt die Frau für faul.

Dazu muss ich sagen, dass ich eher das Gegenteil erlebt habe. Letztens fiel ich fast aus den Latschen, als ich in einem der besagten kleinen von Läden, welche von Leuten mit zentralasiatischer Herkunft betrieben werden, vollkommen hilfsbereit empfangen wurde! Zuerst wurde ich gefragt, ob ich was suchen würde und wenn ja: was? Und als wäre das nicht überraschend genug, bekam ich dann auf meine Antwort, dass ich Klebestreifen suche, auch noch tatsächlich nützliche Hilfe!! Ich wurde zum richtigen Regal begleitet (!) und als mir der Klebestreifen aber nicht passte wurde mir noch erklärt dass an der Kasse eine weitere Auswahl sei!!! Das war mir in einem russisch geführten Laden bisher eher selten passiert. Einzig die Verkäufer an den Gemüseständen reißen sich darum ihre Waren an den Mann zu bringen.

Solche Erfahrung hatte meine Vermieterin aber anscheinend noch nicht gemacht, denn ihre geistigen Ergüsse gipfelten darin, dass sie meinte: „Ja ja, unsere Straßen und Höfe können sie ja ganz gut fegen…“ Da war es dann auch für mich zu viel und ich musste, um nicht meine diplomatische Zurückhaltung nicht zu brechen, mich in mein Zimmer zurückziehen um das Gehörte zu verdauen. Nun gut, zum Glück gibt es auch Mensche, die offensichtlich anders denken. Die Ausstellung heute hat das bewiesen!

Samstag, 12. November 2011

Überraschend kritisch ... ?

Über den internen Verteiler des Goethe Instituts kommen regelmäßig e-Mails mit Veranstaltungshinweisen, die ich natürlich immer sehr interessiert durchlese. Besonders überrascht hatte mich der Hinweis auf eine Diskussion im Sacharow-Zentrum (hier ein Paar Informationen zu dem Dissidenten Sacharow, nach dem das Kulturzentrum benannt ist), welche sich mit den anstehenden Duma-Wahlen befasste. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Titel der Veranstaltung las: „Die seltsame Auswahl dieser Wahl: nicht hingehen oder dagegen stimmen?“ Gemeint war, ob man zur Wahl gehen solle, oder aber ob es effektiver sei, sie zu boykottieren.

Jeder, der sich schon Mal ein wenig mit Russland beschäftigt hat, weiß, dass die politische Situation im Land eher kritisch ist und das Land eigentlich fest in der Hand Putins ist. Auch von den tragischen Morden an Journalisten oder Juristen und solchen inszenierten Prozessen, wie z.B. dem, gegen Michail Chodorkowskij (hier noch mal der Hinweis zum Film: http://www.derfallchodorkowski.de/) wird der ein oder andere schon gehört haben. Ich war also umso erstaunter, dass eine solche, offensichtlich kritische Veranstaltung („dagegen stimmen“ meinte ganz offenkundig gegen die regierende Partei Putins stimmen) abgehalten wird. Da muss ich hin!! Auch wenn ich nichts verstehe will ich zumindest sehen wie das abläuft. Ein bisschen Sensationsgeilheit spielte natürlich auch mit hinein, es hätte ja sein können dass es eine polizeiliche Störung geben würde..?!

Also machte ich mich Dienstagabend nach der Arbeit überstürzt auf zu der angegebenen Adresse. Mein Problem war, dass ich noch nie in diesem Zentrum war. Und nun sollte ich bei Dunkelheit und zwischen dicken Schneeflocken (Hurra!!! Endlich war der erste Schnee gefallen!!) den Veranstaltungsort finden! Und das bei meinem verkümmerten Orientierungssinn (der sich allerdings hier schon ein wenig gebessert hat, wie ich finde) und ohne ein internetfähiges Zauberhandy… Bewaffnet mit meinem schon leicht zerfledderten Stadtplan und einer großen Portion Adrenalin stürzte ich mich in die überfüllte Metro. Nun gut, zumindest in den nächsten Wagen, in den ich überhaupt noch hinein passte… Auch mangelnder Sauerstoff und der Entzug von körperliche Freiraum konnten mich nicht von meinem Plan abbringen. Ich fand die richtige Haltestelle, drängelte mich raus und … stand auf der Straße wieder vor der quälenden Frage, welche Richtung einzuschlagen sei. Ich ließ mich von der Karte und meiner Intuition leiten und fand tatsächlich das Sacharow-Zentrum!!!! Nur leider war es schon 10 Minuten nach Beginn der Veranstaltung und mein Mut war in der Hitze der Metro anscheinend ein wenig zusammengeschmolzen. Schließlich war ich doch nur eine dumme, kleine Praktikanten, die noch nicht einmal wusste, wer die Diskutierenden überhaupt waren… Sollte ich es wirklich wagen zu spät in die Veranstaltung zu poltern??

Ich kam ins Stocken und war kurz davor umzudrehen, als mit das Schicksal, oder zumindest der Zufall zur Hilfe kam: Mit mir zusammen kam ein Mann an, der offensichtlich auch zu der Veranstaltung wollte (was mich erleichtert darin bestätigte, dass ich den richtigen Eingang gefunden hatte) und - anscheinend meinen fragenden Blick lesend - mir die Tür aufhielt und mich einzutreten wies (yeah!, manchmal macht es doch Spaß eine Frau zu sein… ;) ).

Wie sich herausstellte, war dieser Mann einer der beiden Vortragenden: Aleksandr Podrabinek. Wie ich jetzt weiß, ein engagierter Journalist und Menschenrechtsaktivist. Nun ja, jeder darf sich mal dumm anstellen, Ulrike… Ich beruhigte mich damit, dass ich immerhin nicht die einzige war, die zu spät kam. Und das war ich beiliebe nicht!! Nach mir kamen noch genug Menschen. Trotzdem war vermutlich niemand so aufgeregt wie ich. Mit den abgelatschten Stiefeln, der riesigen mit Zetteln, Stiften und Wasserflaschen zugerümpelten ichichich-Tasche und meinen wie immer meilenweit leuchtenden Wangen musste ich doch als ausländischer Voll-Peilo auffallen. Tat ich aber nicht. Dafür war die Diskussion angeregt genug.

Die Standpunkte waren klar: der Politologe Dmitrij Oreschkin, der sich lieber als passiver Beobachter betätigt um dann mit den Ergebnissen seiner Untersuchungen Aufklärungsarbeit zu leisten, war überzeugt, dass man wählen gehen müsse. Allein schon um ein Zeichen zu setzten und zu zeigen, dass es eine Opposition gibt (soweit ich das verstanden habe). Besondern in den urbanen Zentren wäre das wichtig, da man in ländlicheren Regionen oftmals gar nicht wisse, wen man außer Einiges Russland (die Regierungspartei) überhaupt wählen könne.

Sein Gegenüber, Podrabinek, hingegen vertrat die Ansicht, dass man auch mit seiner Beteiligung nichts ändern könne. Im Gegenteil, er verglich die Situation mit der Sowjetzeit, in der „Wahlen“ zu einer Farce, einer inhaltslosen Veranstaltung, einer reinen Anwesenheitspflicht verkommen seien. Die Teilnahme würde den Wahlprozess nur für die Regierenden legitimieren und eine AUSwahl würde es eh nicht geben. Seiner Meinung nach mache es keinen Unterschied, ob man zur Wahl geht und den Zettel zerreißt, während der Wahl eine Demonstration gegen selbige veranstalte oder einfach nicht hingehe. Man müsse das ganze System der Beteiligung ändern. Denn im jetzigen Zustand könne man nichts bewirken.

Da beide Männer fest von ihrem Standpunkt überzeugt waren, entstand zwar eine lebhafte Diskussion auch mit dem Publikum, der ich aber leider nicht ganz folgen konnte, da mein Wortschatz im Russischen dann doch zu beschränkt ist und viele der Anwesenden offensichtlich keine Erfahrung im Umgang mit Mikrophonen hatten …

Die Veranstaltung hat mich jedoch sehr beeindruckt. Zu allererst, da ich aufgrund der anfangs erwähnten Fakten kaum eine so offensichtlich kritische, öffentlich angekündigte Veranstaltung mit so deutlichen Worten gegen die Regierung erwartet habe. Aber auch, weil diese Frage für mich in Deutschland nie so zur Debatte stehen würde. Nicht wählen zu gehen, um etwas „zu verändern“ steht vollkommen außer Frage.

Der Abend hat mir einmal mehr bewusst vor Augen geführt, wie sehr sich Russland und Deutschland unterscheiden. Und auch wie sich meine Verhaltensweisen hier anpassen. Als während der Diskussion eine Art Anwesenheits- und Kontaktliste durch die Reihen ging, überlegte ich zwei Mal, ob ich wirklich meinen Namen und die E-Mail-Adresse aufschreiben solle. Ich entscheid mich für den Kompromiss, die Daten anzugeben, allerdings möglichst unleserlich zu schreiben und das Goethe Institut lieber ganz aus dem Spiel zu lassen.

Ein weiteres Beispiel hierfür fiel mir im Gespräch mit Sascha, meiner Projektleiterin auf. Sie fragte mich vor Kurzem nach oppositionellen deutschen Zeitungen aber ich konnte ihr nur ein paar linke Blätter nennen, die sich (abgesehen von solchen Vorkommnissen wie dem Skandal um die Razzia in der Cicero-Redaktion) auch nicht unbedingt durch spektakulärste Vorkommisse hervortun. Die politische Situation bei uns scheint sich entspannt und ausgeglichen zu haben. Die Fronten sind anscheinend nicht so verhärtet, dass sich nicht immer auch ein Kompromiss finden würde. Das soll nicht heißen, dass bei uns alles vorbildlich und moralisch oder rechtlich einwandfrei ist! Bestimmt nicht!! Und vielleicht ist diese Einschätzung auch nur meinen fehlenden politischen Kenntnissen zu zuschreiben. Aber wenn ich jetzt noch weiter schreibe, komme ich mit diesem Post gar nicht mehr zum Ende…

Deswegen will ich nur noch abschließend erwähnen, dass die engagiert diskutierenden Besucher dieses Abends (wenn es auch nur eine überschaubare Menge von vielleicht 30 Leuten war) in mir die Hoffnung gestärkt haben, dass es doch einen aufmerksamen Protest im Land gibt!

ich habs geschafft!!!

Nachdem ich nun schon seit 4 Wochen buchstäblich durch Moskau renne und dabei allerhand mit- und aufnehme, habe ich festgestellt, dass facebook doch nicht ausreicht, um diese Eindrücke zu teilen.
Rückblickend und gespannt darauf, was noch alles kommt, hoffe ich, dass sich die Zeit finden wird um euch ein wenig ausführlicher an meinem abwechslungsreichen Leben hier Teil haben zu lassen. :)

So viel schon mal dazu: Es schneit und ich will morgen zu einer Ausstellung, die "Russland für alle" heißt. Ein Titel, der allein schon als Gegenentwurf zu dem nationalistischen Ausruf "Russland den Russen!" provoziert - was ich in gewisser Weise schon am eigenen Leib erfahren habe...
Hier der Link für Interessierte: http://mdf.ru/english/exhibitions/today/rdv_11/ :)

Liebste, leicht übermüdete Grüße aus Moskau!!!
Die Ulitschka :)