Sonntag, 13. November 2011

Russland für alle!

Wie bereits angekündigt war ich heute mit einer Freundin in der Ausstellung „Russland für alle“. Der provokativ gemeinte Titel trifft offensichtlich genau ins Schwarze, denn als ich meiner Vermieterin davon erzählte, dass ich eine Ausstellung mit diesem Namen besuchen wolle, erwiderte sie nur mit hochgezogenen Augenbrauen: „Ach, das meint dann wohl die ganzen Immigranten.“ BINGO! Genau darum geht es offensichtlich auch den Veranstaltern, die laut eigener Aussage mit ihrem Projekt all diejenigen zum Nachdenken anregen wollen, die laut rufen: „Russland den Russen!“, dabei aber nicht bedenken, wie viele bedeutende Personen es in der Geschichte und kulturellen Entwicklung Russlands gab, die in ihrem Stammbaum durchaus andere ethische Einflüsse hatten. Das Paradebeispiel ist natürlich Katharina die Große, eigentlich Sophie Auguste von Anhalt-Zerbst – eine Deutsche also - oder Puschkin, dessen Urgroßvater ein afrikanischer Sklave gewesen sein soll.

Um dies zu verdeutlichen wurde eine ganze Wand mit mehreren kleineren Leinwänden gefüllt, auf denen die Namen bekannter Persönlichkeiten und deren „nichtrussische“ Abstammung gemalt wurde. Abgesehen von diesen Einzelbeispielen wurden noch ein paar statistische Fakten über die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Russlands eingestreut. Abgesehen davon, dass mich die Gesamtbevölkerungszahl Russlands von 145.166.731 Menschen beeindruckte, finde ich dass sich die deutsche Diaspora mit 597.212 Personen gar nicht so gering ausnimmt. Obwohl sie natürlich mit dem Spitzenreitern wie Tataren (5.554.601) oder Baschkiren (1.673.389) nicht mithalten kann ;)


Wenn man bedenkt, dass gerade die Tataren lange Zeit die Geschichte der slawischen Völker beeinflusst haben. Und noch dazu, faktisch nur auf dem westlichen Teil des heutigen Territoriums Russlands überhaupt slawische Völker lebten, während der Rest mit vielen kleinen Nomadenvölkern besiedelt war, welche im Laufe vieler Jahre im Zuge der Ausbreitung des Moskauer Reiches der russischen Herrschaft unterworfen wurden, müssen sich solche Äußerungen wie „Russland den Russen“ vermessen und anmaßend ausnehmen.

Auch in Anbetracht der Tatsache, dass zu Zeiten der Sowjetunion das Hauptaugenmerk des Zusammenschlusses nicht auf der Nationalität lag, sondern auf dem politischen System und einem überdies die hoch gepriesene Völkerfreundschaft von allen Ecken entgegen wehte, sollte man meinen, dass eine Durchmischung verschiedener Ethnien und Nationalitäten zum Alltag gehört und faktisch gar nicht mehr wahrgenommen wird. Ich konnte mir deshalb auch die ganz du gar unschuldige Frage an meine Vermieterin nicht verkneifen, wen sie denn mit diesen „Immigranten“ meine. Natürlich zählte sie die von mir erwarteten Bevölkerungsgruppen auf: Leute aus dem Kaukasus (Armenier, Aserbaidschaner, Tschetschenen, Dagestaner, etc. …) und Menschen aus den zentralasiatischen Regionen: Usbeken, Turkmenen, etc. … Tja, wo die nur alle herkommen? Is’ ja nicht so, dass sie einst von einer aus Moskau kommenden Regierung unter den kommunistischen Deckel gezwängt wurden … Und was wollten sie nun alle hier in Russland mit ihren Einkaufsläden und Schuhreparaturständen? Ich vermute mal: Geld verdienen. Nein, das würden sie ja auch nicht richtig machen.

Zugegeben, die Anekdote, die mir meine Vermieterin daraufhin erzählte, brachte mich auch zum Schmunzeln: Sie wollte wohl ein Paar Stiefel zur Reparatur geben, die jeweils mit doppelten Reißverschlüssen versehen waren, wovon einer aber nicht mehr funktionierte. Die anscheinend aus der mittelasiatischen Region stammende Frau in der Schuhannahme empfahl ihr wohl daraufhin, sie solle doch einfach nur den zweiten Reißverschluss benutzen und den kaputten geschlossen lassen. Das ginge doch auch. In gewisser Weise nahezu hilfsbereit, immerhin hätte sich damit meine Vermieterin das Geld für die Reparatur gespart. Aber die war wohl nicht sonderlich für diese Logik zu begeistern und heilt die Frau für faul.

Dazu muss ich sagen, dass ich eher das Gegenteil erlebt habe. Letztens fiel ich fast aus den Latschen, als ich in einem der besagten kleinen von Läden, welche von Leuten mit zentralasiatischer Herkunft betrieben werden, vollkommen hilfsbereit empfangen wurde! Zuerst wurde ich gefragt, ob ich was suchen würde und wenn ja: was? Und als wäre das nicht überraschend genug, bekam ich dann auf meine Antwort, dass ich Klebestreifen suche, auch noch tatsächlich nützliche Hilfe!! Ich wurde zum richtigen Regal begleitet (!) und als mir der Klebestreifen aber nicht passte wurde mir noch erklärt dass an der Kasse eine weitere Auswahl sei!!! Das war mir in einem russisch geführten Laden bisher eher selten passiert. Einzig die Verkäufer an den Gemüseständen reißen sich darum ihre Waren an den Mann zu bringen.

Solche Erfahrung hatte meine Vermieterin aber anscheinend noch nicht gemacht, denn ihre geistigen Ergüsse gipfelten darin, dass sie meinte: „Ja ja, unsere Straßen und Höfe können sie ja ganz gut fegen…“ Da war es dann auch für mich zu viel und ich musste, um nicht meine diplomatische Zurückhaltung nicht zu brechen, mich in mein Zimmer zurückziehen um das Gehörte zu verdauen. Nun gut, zum Glück gibt es auch Mensche, die offensichtlich anders denken. Die Ausstellung heute hat das bewiesen!

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