Samstag, 12. November 2011

Überraschend kritisch ... ?

Über den internen Verteiler des Goethe Instituts kommen regelmäßig e-Mails mit Veranstaltungshinweisen, die ich natürlich immer sehr interessiert durchlese. Besonders überrascht hatte mich der Hinweis auf eine Diskussion im Sacharow-Zentrum (hier ein Paar Informationen zu dem Dissidenten Sacharow, nach dem das Kulturzentrum benannt ist), welche sich mit den anstehenden Duma-Wahlen befasste. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Titel der Veranstaltung las: „Die seltsame Auswahl dieser Wahl: nicht hingehen oder dagegen stimmen?“ Gemeint war, ob man zur Wahl gehen solle, oder aber ob es effektiver sei, sie zu boykottieren.

Jeder, der sich schon Mal ein wenig mit Russland beschäftigt hat, weiß, dass die politische Situation im Land eher kritisch ist und das Land eigentlich fest in der Hand Putins ist. Auch von den tragischen Morden an Journalisten oder Juristen und solchen inszenierten Prozessen, wie z.B. dem, gegen Michail Chodorkowskij (hier noch mal der Hinweis zum Film: http://www.derfallchodorkowski.de/) wird der ein oder andere schon gehört haben. Ich war also umso erstaunter, dass eine solche, offensichtlich kritische Veranstaltung („dagegen stimmen“ meinte ganz offenkundig gegen die regierende Partei Putins stimmen) abgehalten wird. Da muss ich hin!! Auch wenn ich nichts verstehe will ich zumindest sehen wie das abläuft. Ein bisschen Sensationsgeilheit spielte natürlich auch mit hinein, es hätte ja sein können dass es eine polizeiliche Störung geben würde..?!

Also machte ich mich Dienstagabend nach der Arbeit überstürzt auf zu der angegebenen Adresse. Mein Problem war, dass ich noch nie in diesem Zentrum war. Und nun sollte ich bei Dunkelheit und zwischen dicken Schneeflocken (Hurra!!! Endlich war der erste Schnee gefallen!!) den Veranstaltungsort finden! Und das bei meinem verkümmerten Orientierungssinn (der sich allerdings hier schon ein wenig gebessert hat, wie ich finde) und ohne ein internetfähiges Zauberhandy… Bewaffnet mit meinem schon leicht zerfledderten Stadtplan und einer großen Portion Adrenalin stürzte ich mich in die überfüllte Metro. Nun gut, zumindest in den nächsten Wagen, in den ich überhaupt noch hinein passte… Auch mangelnder Sauerstoff und der Entzug von körperliche Freiraum konnten mich nicht von meinem Plan abbringen. Ich fand die richtige Haltestelle, drängelte mich raus und … stand auf der Straße wieder vor der quälenden Frage, welche Richtung einzuschlagen sei. Ich ließ mich von der Karte und meiner Intuition leiten und fand tatsächlich das Sacharow-Zentrum!!!! Nur leider war es schon 10 Minuten nach Beginn der Veranstaltung und mein Mut war in der Hitze der Metro anscheinend ein wenig zusammengeschmolzen. Schließlich war ich doch nur eine dumme, kleine Praktikanten, die noch nicht einmal wusste, wer die Diskutierenden überhaupt waren… Sollte ich es wirklich wagen zu spät in die Veranstaltung zu poltern??

Ich kam ins Stocken und war kurz davor umzudrehen, als mit das Schicksal, oder zumindest der Zufall zur Hilfe kam: Mit mir zusammen kam ein Mann an, der offensichtlich auch zu der Veranstaltung wollte (was mich erleichtert darin bestätigte, dass ich den richtigen Eingang gefunden hatte) und - anscheinend meinen fragenden Blick lesend - mir die Tür aufhielt und mich einzutreten wies (yeah!, manchmal macht es doch Spaß eine Frau zu sein… ;) ).

Wie sich herausstellte, war dieser Mann einer der beiden Vortragenden: Aleksandr Podrabinek. Wie ich jetzt weiß, ein engagierter Journalist und Menschenrechtsaktivist. Nun ja, jeder darf sich mal dumm anstellen, Ulrike… Ich beruhigte mich damit, dass ich immerhin nicht die einzige war, die zu spät kam. Und das war ich beiliebe nicht!! Nach mir kamen noch genug Menschen. Trotzdem war vermutlich niemand so aufgeregt wie ich. Mit den abgelatschten Stiefeln, der riesigen mit Zetteln, Stiften und Wasserflaschen zugerümpelten ichichich-Tasche und meinen wie immer meilenweit leuchtenden Wangen musste ich doch als ausländischer Voll-Peilo auffallen. Tat ich aber nicht. Dafür war die Diskussion angeregt genug.

Die Standpunkte waren klar: der Politologe Dmitrij Oreschkin, der sich lieber als passiver Beobachter betätigt um dann mit den Ergebnissen seiner Untersuchungen Aufklärungsarbeit zu leisten, war überzeugt, dass man wählen gehen müsse. Allein schon um ein Zeichen zu setzten und zu zeigen, dass es eine Opposition gibt (soweit ich das verstanden habe). Besondern in den urbanen Zentren wäre das wichtig, da man in ländlicheren Regionen oftmals gar nicht wisse, wen man außer Einiges Russland (die Regierungspartei) überhaupt wählen könne.

Sein Gegenüber, Podrabinek, hingegen vertrat die Ansicht, dass man auch mit seiner Beteiligung nichts ändern könne. Im Gegenteil, er verglich die Situation mit der Sowjetzeit, in der „Wahlen“ zu einer Farce, einer inhaltslosen Veranstaltung, einer reinen Anwesenheitspflicht verkommen seien. Die Teilnahme würde den Wahlprozess nur für die Regierenden legitimieren und eine AUSwahl würde es eh nicht geben. Seiner Meinung nach mache es keinen Unterschied, ob man zur Wahl geht und den Zettel zerreißt, während der Wahl eine Demonstration gegen selbige veranstalte oder einfach nicht hingehe. Man müsse das ganze System der Beteiligung ändern. Denn im jetzigen Zustand könne man nichts bewirken.

Da beide Männer fest von ihrem Standpunkt überzeugt waren, entstand zwar eine lebhafte Diskussion auch mit dem Publikum, der ich aber leider nicht ganz folgen konnte, da mein Wortschatz im Russischen dann doch zu beschränkt ist und viele der Anwesenden offensichtlich keine Erfahrung im Umgang mit Mikrophonen hatten …

Die Veranstaltung hat mich jedoch sehr beeindruckt. Zu allererst, da ich aufgrund der anfangs erwähnten Fakten kaum eine so offensichtlich kritische, öffentlich angekündigte Veranstaltung mit so deutlichen Worten gegen die Regierung erwartet habe. Aber auch, weil diese Frage für mich in Deutschland nie so zur Debatte stehen würde. Nicht wählen zu gehen, um etwas „zu verändern“ steht vollkommen außer Frage.

Der Abend hat mir einmal mehr bewusst vor Augen geführt, wie sehr sich Russland und Deutschland unterscheiden. Und auch wie sich meine Verhaltensweisen hier anpassen. Als während der Diskussion eine Art Anwesenheits- und Kontaktliste durch die Reihen ging, überlegte ich zwei Mal, ob ich wirklich meinen Namen und die E-Mail-Adresse aufschreiben solle. Ich entscheid mich für den Kompromiss, die Daten anzugeben, allerdings möglichst unleserlich zu schreiben und das Goethe Institut lieber ganz aus dem Spiel zu lassen.

Ein weiteres Beispiel hierfür fiel mir im Gespräch mit Sascha, meiner Projektleiterin auf. Sie fragte mich vor Kurzem nach oppositionellen deutschen Zeitungen aber ich konnte ihr nur ein paar linke Blätter nennen, die sich (abgesehen von solchen Vorkommnissen wie dem Skandal um die Razzia in der Cicero-Redaktion) auch nicht unbedingt durch spektakulärste Vorkommisse hervortun. Die politische Situation bei uns scheint sich entspannt und ausgeglichen zu haben. Die Fronten sind anscheinend nicht so verhärtet, dass sich nicht immer auch ein Kompromiss finden würde. Das soll nicht heißen, dass bei uns alles vorbildlich und moralisch oder rechtlich einwandfrei ist! Bestimmt nicht!! Und vielleicht ist diese Einschätzung auch nur meinen fehlenden politischen Kenntnissen zu zuschreiben. Aber wenn ich jetzt noch weiter schreibe, komme ich mit diesem Post gar nicht mehr zum Ende…

Deswegen will ich nur noch abschließend erwähnen, dass die engagiert diskutierenden Besucher dieses Abends (wenn es auch nur eine überschaubare Menge von vielleicht 30 Leuten war) in mir die Hoffnung gestärkt haben, dass es doch einen aufmerksamen Protest im Land gibt!

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